Der Floßgraben
Man schreibt das Jahr 1558. Der Annaberger Silberbergbau ging gut voran. Die benötigte Menge an Stammholz für den Grubenausbau, als Feuerung für Schmelzhütten und Wohnhäuser, für den Hausbau und für Wasserleitungen wuchs ständig. Beschwerlich war sein Transport. Über 100 Höhenmeter mußte das geflößte Holz von der Sehma in die Bergstadt und zu den Schächten auf steilen Wegen mit Geschirren "hinaufgeochst" werden ! Bis zur Pöhla hinunter waren es sogar an die 200 Höhenmeter. Die umliegenden Wälder waren alle ziemlich abgeholzt, der Pöhlberg schon lange kahl. Der Bergstadt blieb nur ein Ausweg, um das Holz der oberen Waldlagen zu nutzen. Ein künstlicher Floßgraben mußte auf dem Bergrücken hinauf zum Bärenstein gebaut werden.
Auch die Uthmann hatte wohl von diesen Plänen erfahren und spekulierte auf einen Wertzuwachs der dort gelegenen Waldgrundstücke. Jedenfalls kaufte die damals 44jährige Witwe im Nov. 1558 den Wald der Königswalder Amtsseite "hinterm Berghäusel" (Blaue Maus) vom Vormund der Kinder des verstorbenen Königswalder Erbrichters Thomas Rebentisch für 85 Gulden. Es war der Anfang der "Tragödie", wie nun Königswalde auch noch den Waldbesitz der Amtsseite an Annaberg verlor. Der Wald der Ratsseite gehörte Annaberg ja schon seit 1512 ! Auch ein Nicol Kohlreuter aus Annaberg kaufte ein Stück Wald "über der Brettmühlen". 1561 kaufte er noch das Uthmannsche Waldstück dazu ...
Und wirklich, schon bald darauf erhielt der Annaberger Markscheider Georg Oeder den Auftrag zum Bau eines Floßgrabens. 1564 wurde mit den Arbeiten begonnen. In einer genialen Ingenieursleistung der damaligen Zeit schaffte er es, in nur 2 Jahren Bauzeit, den über 11 km langen Floßgraben zwischen der oberen Stadt Annaberg und der Pöhla oberhalb von Bärenstein fertigzustellen. Am 6.Juni 1566 wurde das erste Mal Wasser aus der Pöhla in den neuen Kunstgraben geschlagen. In Ober-Bärenstein, in Höhe der jetzigen Schraubenfabrik, wurde das Wasser in 704 m über NN aus der Pöhla abgeleitet und mit einem Gefälle von weniger als 1,5 mm pro Meter, das sind 15 m auf 11 km, bis oberhalb der Stadt Annaberg (689 m über NN) in einen Flößteich, dem "Holzhafen" geführt (heute oberhalb des Tiergeheges an der Pöhlbergauffahrt). Geschickt umging er den Galgenberg, nutzte den ebenen Höhenzug zwischen Cunersdorf und Königswalde, blieb immer am pöhlaseitigen Hang hinauf bis Kühberg. Dann kam die wohl schwierigste Patie, um die felsige Klippe des Raumberges herum, dort wo später die Bahnlinie einen Tunnel anlegen mußte. Von dort bis zum Bahnhof Bärenstein ist sein Verlauf heute noch gut zu verfolgen. Groß war die Freude, als im Juni 1566 das Wasser das erste Mal die Stadt Annaberg erreichte. Durch das geringe Gefälle war die Fließgeschwindigkeit sehr niedrig. Drei Tage brauchte das Holz angeblich bis Annaberg. Später wurden noch Stauschützen eingebaut, die dem Holz zu einer größeren Geschwindigkeit verhalfen, wenn sie gezogen wurden.
Fast 300 Jahre war der Floßgraben in Betrieb. Ab 1790 lag er aber oft still, denn auch das Holz in den oberen Lagen war aufgebraucht. 1844 wurde das letzte Mal geflößt.
1866 folgte die Bahnlinie Bärenstein-Chemnitz bis zu unserem Oberen Bahnhof in Annaberg genau seinem Verlauf.
Zu einer späten, aber bis heute genutzten,
Bedeutung kommt der Floßgraben im Zusammenhang mit der
Trinkwasserversorgung der Stadt Annaberg.
1884 wird der Floßgraben verrohrt und das Quellwasser des
Konduppeltales, gefasst in ca. 34 Quellen, durch das 1889 erbaute
Wasserwerk, einem Wasserhebewerk, in Königswalde an der
Brettmühle über 120 Höhenmeter in diese Leitung
hinauf gepumpt.
Zum Antrieb der Pumpe wird die Wasserkraft der Pöhla genutzt. Über einen etwa 1 km langen Mühlgraben gelangt das Aufschlagwasser in die 150m lange Fallrohrleitung auf die Turbine. Die Turbinendruckleitung hat eine Nennweite von 1000mm und eine Fallhöhe von 38m.
64 m³/h Trinkwasser pumpt damit die
Doppelkolbenpumpe der Fa. Hartmann/Chemnitz rund um die Uhr !
1904 reichte der Bedarf an Trinkwasser bereits nicht mehr aus. Es
wird eine zweite Wasserleitung im ehemaligen Floßgraben verlegt
und das Königswalder Wasserwerk erhält noch eine weitere
"Maschine", eine Einfachkolbenpumpe der
Maschienenfabrik Kappel/Chemnitz mit einer Leistung von 72 m³/h.
72 m³/h, das sind 1200 Liter in der Minute bzw. 20 Liter pro Sekunde, und das mit einem Druck von mindestens 12 atm (12 bar), eine technische Leistung, die uns noch heute beeindruckt !!! Man kann es sich bildlich vorstellen: 2 Eimer Wasser müssen pro Sekunde auf 120 m Höhe "geschossen" werden ...
Die erste Turbine wird 1934 ersetzt durch eine
Francisturbine der Fa. Schindler&Grünewald/Meißen mit einer
Leistung von 202,5 PS bei 550 U/min. So ist es bis heute
geblieben.
Bei Wassermangel in der Pöhla übernahm eine Dampf-Lokomobile,
die im vorderen flachem Gebäudeteil untergebracht war, den
Antrieb der Kolbenpumpen.
1941 wurde es durch einen stationären Deutz-Dieselmotor ersetzt,
der eine eigene Kreiselpumpe antrieb.
Seit Mai 1988 mußten elektrische Pumpen die Arbeit der beiden turbinengetriebenen Kolbenpreßanlagen übernehmen, weil die Druckwasserleitung für den Turbinenantrieb an Alterschwäche versagt hatte.
1998 wurden die Stadtwerke Annaberg Eigentümer
der ehrwürdigen Anlage.
2001 bis 2003 wurde das Gebäude saniert und auch die
denkmalgeschützte Wasserkraftanlage wieder in ihren
ursprünglichen Zustand versetzt.
Am 14.September 2003, dem Tag des offenen Denkmals, wurde dieses herausragende Beispiel sächsischer Technik- und Industriegeschichte wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die alten originalen Anlagen aus den berühmten Chemnitzer Maschinefabriken sind vollständig erhalten und funktionstüchtig. Sie waren damals die modernsten Anlagen ihrer Zeit und berichten noch heute vom Pioniergeist und Ideenreichtum der Ingenieure und Techniker.
Einen Besuch dieses einmaligen technischen
Denkmals kann ich jedem Interessierten nur empfehlen.
Die denkmalgeschützte Anlage ist jedes Jahr zum Tag des offenen
Denkmals im September zu besichtigen, Führungen werden aber auch
nach telefonischer Voranmeldung unter 03733-671190 durchgeführt
!!!
Glück Auf !
Wolfgang Süß
29. August 2000
aktualisiert 07/2005