De Grumb'scher Eisenbaah
Kleine Rivalitäten zwischen den Einwohnern erzgebirgischer Dörfer hat es wohl schon immer gegeben. Man foppte sich mit dummen Späßen in der Schule oder auf Arbeit und die Jugend prügelte sich auch mal Dorf gegen Dorf auf dem Tanzsaal.
Dem erzgebirgischen Humor sind so auch die Spitznamen
für die benachbarten Gemeinden entsprungen, wobei es sich heute
kaum ergründen lässt, wann und aus welchem Anlaß diese
"Namen" aufkamen. So wurden aus den Jöhstädtern de
Flackfrasser, de Annaberger zu Katkameler, Schlettauer sei
Kirchn-Gesichter, de Arnsfalder hasn Stoppelhopser. Jeder kennt
de Geyrischen als Sandhusn, de Mauersberger nennt mr
Quarkstädter, de Crottendörfer sei Ziegnbaa, Scheimbarger de
Basaltnischeln, Nenndorf haast Staarndorf, un daß de Grumbscher
de Mondputzer sei, dos wissen alle.
Eine Begebenheit, die genau dazu passt, und die sich die
Kinneschwaller zu gern immer wieder erzählten, ist die
Geschichte von der Vermessung der Grumbacher Eisenbahnlinie !
Früher, wenn zum Beispiel dr Löbelschuster-Will oder dr
Sackschneider mit am Stammtisch saßen, wurde uns Jüngeren diese
wahre Begebenheit immer wieder erzählt und mit kleinen Details
und Nebensächlichkeiten ausgeschmückt, als wären sie selbst
dabei-gewesen .
Es muß so um 1905 gewesen sein. Die Eisenbahn war die neueste Errungenschaft und hatte auch das Erzgebirge erobert. Die Bahnlinie Wolkenstein-Jöhstadt war eröffnet worden und hatte die Postkutsche nach Jöhstadt abgelöst, die Planung einer Bahnlinie das ganze Pöhlathal hinauf war im Gespräch und die Verlängerung der "Oberen Bahn", von Königswalde nach Annaberg-Oberer Bahnhof war in jenem Jahr im vollem Gange (Eröffnung 1906). Ich vermute, dass gerade das der Auslöser für diesen dreisten Streich mit den Grumbachern war.
Also an einem schönen Herbsttag, die Felder waren abgeerntet, waren 4 "Herren" aus Königswalde, alle mit Frack und Zylinder mit einem 2spännigem Landauer unterwegs. Angeblich kamen sie auswärts von einer Beerdigung. Der Kopf dieser "4rer-Bande" war dr Lahl-Fried. Ja, Friedrich Lahl war wirklich kein unbeschriebenes Blatt. Er trieb wohl etwas Handel mit Klöppelei und Posamenten, aber in Wirklichkeit lebte er vom Paschhandel, den er sehr intensiv und im großen Stil betrieb. Das war wohl auch der Grund, daß er sein Anwesen in der ehemaligen Sparkasse aufgab und um 1890 das Gebäude der 1883 stillgelegten Streichholzfabrik (Kummer und Günter) kaufte und sich dort draußen an der Jöhstadter Straße niederließ. Zu sehr stand er doch gegenüber dem Rathaus unter der Beobachtung des Dorf-Gendarms, was seinen "Geschäften" nicht sehr zuträglich war.Sie kamen also mit ihrer Kutsche heimwärts über Grumbach. Da standen doch beim Rechen- und Leitermacher so schöne gerade, frisch geschälte Stangen am Haus, die denen der Vermessungleute von der Bahn zum verwechseln ähnlich sahen und wohl letztlich den ganzen Streich ins Rollen brachten. So "borgten" sich die 4 Herren heimlich ein gutes Dutzend dieser sauberen Stangen und bogen in Richtung Neugrumbach ab.
Nun nahm das ganze Geschehen seinen Lauf: Auf
freiem Feld schlugen sie die Pfähle in gerader Linie in
gleichmäßigen Abständen in den Boden und näherten
sich so den ersten Häusern von Grumbach. Natürlich
bekamen das seltsame Tun, das laute Einschlagen der
Pfähle und geschäftige Gebahren der 4 in feinem Schwarz
gekleideten "Herren" auch bald die Grumbacher
mit - das war ja auch so gewollt. Zuerst traf es einen
Bauern, dessen Scheune genau in der Flucht der
eingeschlagenen "Vermessungspfähle" stand. Die 4 "Eisenbahnbau-Vermessungsingenieure" erklärten ihm in feinem Hochdeutsch, dass hier die neue Bahnlinie Wolkenstein - Mildenau - Grumbach - Jöhstadt/Oberer Bahnhof entlang komme !!! Ob er denn seine Scheune bald wegreißen müsse, fragte eingeschüchtert der Grumbscher ? Nein, die könne schon stehen bleiben, er müsse nur immer wenn ein Zug kommt, die Scheunentore öffnen !!! Mehr als 4 Zügen täglich werden es aber wohl nicht werden ! |
Der war erst einmal beruhigt. Den nächsten traf es um so härter: Die 4 Herren kamen in die Bauernstube und ohne große Erklärungen rückte sie den Esstisch beiseite und rammten einen Pfahl mitten in der Stube in den festgestampften Lehmfußboden: "Und hier kommt der Bahnhof her !" war der Kommentar der 4 nobel gekleideten Herren. Die Zahl der aufgebrachten Grumbacher Einwohner war mittlerweile ganz schön angewachsen und dann war wohl doch einer der 4 "Herren" erkannt worden: "Doooos is dooooch dr Laaaahl-Friiiiied vuuu Kinneschwalllllllll !" Nun hieß es aber auf's Schnellste Reißaus zu nehmen. Sie sprangen auf ihren Landauer und gaben den Pferden die Peitsche. Ob sie wirklich noch laut dabei gelacht haben oder blass vor Angst waren, sein nun dahingestellt. Ihr Streich war ihnen jedenfalls gelungen.
Man kann sich vorstellen, was dann in den Königswalder Gaststuben los war. Wochenlang war es das Gesprächsthema Nr. 1 und musste immer wieder erzählt werden. Die vier waren die Helden des Ortes, die die Grumbscher Mondputzer eben mal so richtig angeführt hatten.
Noch heute kennen viele ältere Königswalder diese Geschichte und man muß sich wirklich immer noch hüten, gar in Grumbach nachzufragen, ob sie vielleicht etwas darüber wissen . !
Glück Auf !
Wolfgang Süß
im September 2006
Nachtrag:
Auch in Grumbach ist diese Geschichte heute noch gut bekannt,
wenn man auch nicht gerne drüber spricht. Aber da das Ganze sich
ja in Neugrumbach zugetragen hat, können auch die Grumbacher
etwas darüber lächeln . Und das Haus, wo der Bahnhof hinkommen
sollte, heißt heute bei den Grumbachern immer noch "dr
Bahnhuf" (an der Kreuzung Waldweg - Zum Wiesenberg) !